Die hektische Suche vieler Kliniken im DACH-Raum nach einem IS-H-Nachfolger könnte bald ein vorläufiges Ende finden. Inzwischen ist ein handfestes Wettrennen darüber entbrannt, wer als erster Anbieter einen modernisierten Nachfolger der bewährten SAP-Branchenlösung den Krankenhäusern zur Verfügung stellt.
Bereits Ende April hatte das deutsche SAP-Systemhaus GITG auf der DMEA einen IS-H-Prototypen auf SAP S/4HANA-Basis vorgestellt. Die Software entwickelt GITG gemeinsam mit dem spanischen SAP-Spezialisten Common MS, die nach eigenen Angaben bereits eine solche entsprechende Patientenabrechnungslösung anbietet. „Die Software wird 2025 zur Verfügung stehen“, sagt GITG-Vorstandschef Prof. Wilken Möller.
Auch T-Systems Austria will IS-H-Nachfolger anbieten
Nach Angaben der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) ist nun auch T-Systems Austria in die Entwicklung eines IS-H-Nachfolgers auf Basis S/4HANA eingestiegen und will diesen ebenfalls ab 2025 zur Verfügung stellen. Das Vorhaben wird laut DSAG von SAP durch eine Lizenzvereinbarung mit T-Systems Austria unterstützt. Noch ist allerdings unklar, ob es für alle Klinikträger im Dachraum zur rechten Zeit eine tragfähige Lösung gibt – und diese auch von den Krankenhäusern angenommen wird.
Wir verfolgen einen Clean Code-Ansatz auf Basis von S/4HANA, entwickeln also die Lösung komplett neu.
GITG und T-Systems verfolgen dabei offenbar unterschiedliche Ansätze. „Wir verfolgen einen Clean Code-Ansatz auf Basis von S/4HANA, entwickeln also die Lösung komplett neu“, sagt Wilken Möller. Bereits im August soll nach seinen Angaben in einer großen deutschen Pilotklinik erstmals die Erprobung beginnen. „Wir sind aber noch nicht fertig mit der Entwicklung der Software“, sagt der GITG-Chef. T-Systems will offenbar das etablierte IS-H auf S/4Hana anpassen, was nach Aussagen einiger von kma befragter Klinik-CIOs kein leichtes Unterfangen sein soll.
Kliniken brauchen schnelle Lösung
Ohne eine rechtzeitige Lösung wären die Folgen erheblich. Allein in Österreich mussten sich inzwischen nach Angaben des zuständigen DSAG-Fachvorstandes Walter Schinnerer 22 Krankenhausträger – die mehr als 95 Prozent der Patientinnen und Patienten im stationären und ambulanten Bereich in Österreich behandeln–umorientieren.
Aufgrund zahlreicher Länderspezifika habe die IS-H-Abkündigung die Häuser in Österreich und in der Schweiz besonders hart getroffen, erklärt der DSAG-Experte. Grund sei der Unterschied in der Komplexität der Patientenabrechnung im Vergleich zu Deutschland. „Ohne eine neue Lösung für die Patientenabrechnung auf einer moderneren Plattform als das heute 30 Jahre alte SAP ECC, das 2027 bzw. 2030 aus der Wartung läuft, können keine Patientinnen und Patienten aufgenommen, keine Leistungen beschrieben, keine Entlassungen vollzogen und keine Abrechnung durchgeführt werden“, urteilt der Experte.
Ohne eine neue Lösung für die Patientenabrechnung auf einer moderneren Plattform als das heute 30 Jahre alte SAP ECC, das 2027 bzw. 2030 aus der Wartung läuft, können keine Patientinnen und Patienten aufgenommen, keine Leistungen beschrieben, keine Entlassungen vollzogen und keine Abrechnung durchgeführt werden.
Aus seiner Sicht bedeute die Ankündigung von T-Systems Austria daher nun vor allem Planungssicherheit für die Krankenhäuser. Allerdings wird die T-Systems-Variante bislang ausschließlich Krankenhäusern in Österreich und der Schweiz angeboten. Für Deutschland hatte die Telekom bereits im März eine Patientenabrechnungslösung angekündigt, die in das Telekom-KIS iMedOne eingebunden wird. Damals kündigte Michael Waldbrenner, Geschäftsführer von Telekom Healthcare Solutions, ein Prüfung an, ob eine IS-H Nachfolgelösung basierend auf der neuen S/4 SAP-Technologie entwickelt werden kann. Das Ergebnis dieser Prüfung durch die Gesundheits-IT-Sparte von T-Systems ist die nun geplante Lösung.
IS-H-Support läuft spätestens 2030 aus
IS-H ist eine SAP-Branchenlösung für das Patientenmanagement und ist Bestandteil der Unternehmenssteurungssoftware SAP ECC, für die der deutsche Softwarekonzern seit 2015 den cloudfähigen Nachfolger S/4Hana anbietet. Wegen der Umstellung hatte SAP bereits 2015 angekündigt, dass der Support für ECC bis 2030 endgültig ausläuft. Überraschend für die Krankenhäuser kündigte SAP im vergangenen September jedoch zusätzlich das Ende der Standardwartung für IS-H bereits für 2027 an. Oder bis maximal 2030, gegen die Zahlung einer deutlich teureren Extended Support-Pauschale.
Die Ankündigung des deutschen Softwareriesen erwischte damals die Krankenhäuser im Deutschland, Österreich und der Schweiz auf dem falschen Fuß. In Deutschland sind derzeit die IT-Abteilungen der Krankenhäuser wie auch viele Health-IT-Hersteller vollauf damit ausgelastet, KHZG-Projekte pünktlich umzusetzen. Ausgerechnet in dieser Situation droht vielen Krankenhäusern aufgrund des IS-H-Abschieds eine millionenschwere Investition in neue Krankenhausinformationssysteme (KIS). Der Grund: Viele große Krankenhäuser, darunter viele große Uniklinika, nutzten bislang IS-H gemeinsam mit dem KIS i.s.h.med von Oracle Cerner, das ebenfalls auf SAP ECC basiert.
SAP gegen verlängerten Support durch Oracle Cerner
Mit dem Auslaufen des normalen Supportes von IS-H im Jahr 2027 ist auch i.s.h.med technisch eigentlich obsolet. Der US-Konzern hat deshalb bereits angekündigt, ein neues KIS zu entwickeln und wollte Kunden zunächst einen verlängerten Support für IS-H bis 2035 anbieten. Nach Informationen von kma spielte dabei SAP aber nicht mit. SAP und Oracle sind seit langem Erzrivalen im Bereich der Unternehmenssoftware und haben sich in der Vergangenheit erbitterte juristische Auseinandersetzungen geliefert. Ein siebenjähriges Prozessscharmützel um Datenklau endete 2012 erst mit der Zahlung von 306 Millionen US-Dollar Schadenersatz von SAP an Oracle.
Und wann die angekündigte Nachfolgelösung von Oracle Cerner für i.s.h.med tatsächlich vorliegen wird, steht derzeit ebenfalls noch in den Sternen. Damit sei „derzeit noch völlig unklar, ab wann diese Nachfolgelösung einen vollständigen Ersatz der i.s.h.med-Funktionen aufweist", erläutert Walter Schinnerer.
Zunächst hatte SAP die von der IS-H-Ablöse betroffenen Kliniken an etablierte KIS-Anbieter verwiesen. Die bislang in IS-H abgebildeten Funktionalitäten für Patientenadministration und -abrechnung sollten künftig in deren Krankenhausinformationssystemen abgedeckt werden. Eine Offerte, die viele CIOs nicht wirklich überzeugte, weil damit eine zu enge Bindung an das KIS des jeweiligen Herstellers verbunden ist. Die heftige Reaktion der Kliniken zeigte offenbar auch bei SAP Wirkung, denn das Unternehmen bietet den Source Code von IS-H nun allen SAP-Spezialisten an, die eine Nachfolgelösung IS-H entwickeln wollen.
Zeitplan bleibt auch mit Nachfolger kritisch
Die spannende Frage bleibt, ob die Krankenhäuser auf die sich abzeichnenden Anbieterlösungen warten oder gleich ein komplett neues KIS erwerben. Denn der Zeitrahmen bleibt aus Sicht vieler Häuser kritisch – auch wenn die Nachfolgelösungen 2025 verfügbar sein sollten. Denn wenn Krankenhäuser die kostenintensive Extended Maintenance von IS-H ab 2027 vermeiden wollen, müssten sie binnen drei Jahren IS-H und i.s.h.med ersetzen. „Dieser Zeitplan ist nicht nur sehr ambitioniert, sondern schlicht unrealistisch“, urteilt Walter Schinnerer. Allein die Ausschreibung einer IS-H-Nachfolgelösung würde zwei Jahre dauern. „Dann fehlen noch Implementierung, notwendige Anpassungen und Datenmigration“, fasst der DSAG-Experte zusammen.
Dieser Zeitplan ist nicht nur sehr ambitioniert, sondern schlicht unrealistisch.
Auch für die beiden Unternehmen ist das Entwicklung des IS-H-Nachfolgers ein heikler Balanceakt. Sollten angesichts des offenkundig kritischen Zeitplans die betroffenen Krankenhausträger nicht warten wollen und gleich ein komplett neues KIS ordern, könnten beide Unternehmen das Nachsehen haben. GIGT-Chef Möller glaubt dennoch fest an der Erfolg seiner Lösung – auch weil seine Lösung technologisch den Krankenhäusern erlaube, die Ablösung von IS-H und ish.med zeitlich getrennt vorzunehmen. „Da sehe ich einen klaren Vorteil für die Häuser, weil es einfacher zu planen ist“, sagt er.
Bleibt zum Schluss nur ein ganz entscheidender Punkt: Beide Nachfolgelösungen – egal von welchem Anbieter – müssen aus Sicht der Krankenhäuser tatsächlich halten, was sie versprechen.
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