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Berlin - Am 1. Oktober 1946 wurde im Nürnberger Justizpalast das Urteil im Hauptkriegsverbrecherprozess verkündet. Zwölf der Angeklagten wurden zum Tod durch den Strang verurteilt, einer von ihnen, Martin Bormann, in Abwesenheit. In den folgenden Tagen ist der Gefängnisbau erfüllt vom Lärm der Hämmer und Sägen, mit deren Hilfe in der Turnhalle die drei Galgen für die Verurteilten errichtet werden. Einige der Todeskandidaten stellen Gnadengesuche, die von den Alliierten innerhalb der folgenden zwei Wochen allesamt abgelehnt werden.
Obwohl während des ganzen Prozesses vor jeder Zelle Tag und Nacht ein Posten gestanden hatte, war es Hermann Göring gelungen, eine Kapsel mit Zyankali in seine Zelle zu schmuggeln. Göring zerbeißt die Giftkapsel am Nachmittag des 15. Oktober und stirbt wenige Stunden vor dem Hinrichtungstermin. Ein letzter schaler Triumph über die alliierten Kriegsgegner, die ihn wegen der monströsen Verbrechen des Naziregimes vor Gericht gestellt und abgeurteilt hatten. Zuletzt hatte der Reichsmarschall noch den Antrag gestellt, militärisch ehrenvoll durch ein Erschießungskommando zu sterben, was aber abgelehnt wurde.
Kurz vor ein Uhr morgens, am 16. Oktober, werden die Riegel der Zellentür des früheren Außenministers Joachim von Ribbentrop zurückgeschoben. Oberst Andrus verliest sein Urteil. Anschließend werden Ribbentrop mit schwarzen Schnüren die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden, und zwei Militärpolizisten führen ihn die 13 Stufen zum Galgen hinauf. Die Polizisten stellen ihn auf die Falltür und binden seine Füße zusammen.
Mehrfach Probleme
Er wird gefragt, ob er noch etwas sagen möchte, und Ribbentrop antwortet mit fester Stimme: "Gott schütze Deutschland, Gott sei meiner Seele gnädig! Mein letzter Wunsch ist, dass Deutschland seine Einheit wiederfindet, dass eine Verständigung zwischen Ost und West zustande kommt und Frieden in der Welt regieren möge." So spricht der Mann, der mit Molotow den Hitler-Stalin-Pakt ausgehandelt hatte, das Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg.
Danach zieht ihm der texanische Master-Sergeant John C. Woods eine schwarze Kapuze über den Kopf und legt ihm den Strick um den Hals. Der Henker löst den Mechanismus der Falltür aus, doch obwohl Woods schon weit über 300 Exekutionen durchgeführt hat, gibt es bei der Hinrichtung Ribbentrops und anderer Nazis mehrfach Probleme. Die Falltür ist zu klein, mehrere Verurteilte schlagen mit dem Kopf auf dem Rand der Luke auf und ziehen sich schwere Verletzungen zu, so dass die bald kursierenden Fotos der Hingerichteten unerwartet blutig aussehen.
Außerdem ist die Fallhöhe zu gering berechnet worden. Das Genick der Verurteilten bricht beim Fallen nicht, so dass sie durch den Strick langsam erwürgt werden. Bei Ribbentrop dauert es 15 Minuten, bis er schließlich tot ist. So lange will man mit dem Fortgang der Prozedur nicht warten und führt währenddessen bereits Wilhelm Keitel, den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, zum zweiten Galgen. Er ruft "Alles für Deutschland", bevor die Falltür, auf der er steht, entriegelt wird.
Rosenberg stirbt schweigend
Als dritter wird der oberste Polizist des SS-Staates, Ernst Kaltenbrunner, hingerichtet. Auch er ist gefasst. Julius Streicher dagegen verliert die Nerven und schreit die ganze Zeit "Heil Hitler", Sauckel betont noch einmal seine Unschuld und Rosenberg stirbt schweigend, als einziger lehnt er auch den angebotenen geistlichen Beistand ab.
Geleitet werden die Hinrichtungen von einem Viererkomitee, das aus je einem amerikanischen, britischen, französischen und sowjetischen General besteht. Den Anklägern verweigern die Generäle die Teilnahme aus Rache dafür, dass sie bei der Urteilsverkündung keine Ehrenplätze bekommen haben. Gegen den heftigen Widerstand der Briten werden aber Pressevertreter zugelassen, je zwei aus jeder der vier Besatzungszonen. Das deutsche Volk repräsentieren symbolisch der bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD) und der Nürnberger Oberstaatsanwalt Jakob Meistner. Jeder der Hingerichteten wird zweimal fotografiert, einmal bekleidet und einmal nackt.
Am Morgen des 17. Oktober fahren Lastwagen der US-Armee vor dem Krematorium des Münchner Ostfriedhofs vor. In den Särgen, die sie abladen, liegen angeblich gefallene amerikanische Soldaten, tatsächlich sind es die Hingerichteten von Nürnberg, deren Leichen verbrannt werden. Ihre Asche wird anschließend an einer geheim gehaltenen Stelle in einem Nebenfluss der Isar verstreut, so wie man viereinhalb Jahrhunderte zuvor den Ketzer Savonarola sorgfältig bis zum letzten Knöchelchen verbrannt und die Asche dem Arno anheim gegeben hatte, um jeglichen Reliquienkult zu verhindern.
Einen Angeklagten Hitler hätte die Welt nicht vertragen
Die Fotos der Hingerichteten lösten damals kontroverse Diskussionen aus. Der Nürnberger Ankläger Telford Taylor schrieb: "Sie waren in der Tat abstoßend." Der Chefankläger Robert Jackson war sogar ein grundsätzlicher Gegner der Todesstrafe. Er kam an der Spitze einer 200-köpfigen Delegation nach Nürnberg. Die Amerikaner dominierten das Verfahren von Anfang an und setzten gegen erhebliche Widerstände der Russen, aber auch der Briten ein rechtsstaatliches Verfahren durch, das zu differenzierten Urteilen kam.
Drei Angeklagte wurden sogar freigesprochen. Dem Nürnberger Verfahren kam sicherlich zugute, dass mit Hitler, Himmler und Goebbels die allergrößten Verbrecher schon tot waren. Einen Adolf Hitler, der monatelang vor einem Gericht seine Hasstiraden verbreitet hätte, hätte die Welt wohl nicht ertragen.
Man kann ein Gegner der Todesstrafe sein und muss trotzdem kein Mitleid mit den in Nürnberg hingerichteten Verbrechern haben. Sie hatten Millionen von Toten zu verantworten und standen an der Spitze eines Regimes, in dem Hinrichtungen viele Jahre lang zum Alltag gehörten, und den meisten dieser Hinrichtungen war kein fairer Prozess vorausgegangen, wie er ihnen gewährt worden war.